Luft, Sonne und seltsame Methoden

Mit der Eröffnung des Sanatoriums Albula in Davos begann 1923 auch bei der CKUS die Ära der Luftkuren. Sie endete erst rund sechzig Jahre später, dafür recht abrupt.

«Durch ihre schädigende Einwirkung auf die Nachkommenschaft zehrt die Tuberkulose am Marke unseres Volkes»: Mit diesen markigen Worten – sie stammen aus einer Botschaft an die Bundesversammlung – erklärte der Bundesrat 1922 die Tuberkulose zur «sozialen Krankheit ersten Ranges». Als (heute durchaus umstrittener) Königsweg unter den Behandlungen galten damals gesunde Bergluft, Sonne, stundenlange Liegekuren und eine üppige Er­nährung. In der ganzen Schweiz entstanden deshalb Lungensanatorien, in denen sich die Tuberkulosekranken erholen sollten. Sanatoriumshochburg war Davos, wo 1918 gegen vierzig Sanatorien und Kliniken gezählt wurden.

Endlich ein eigenes Sanatorium

Auch bei der CKUS war die unter den Versicherten grassierende Tuberkulose ein Dauerthema. Von Jahr zu Jahr stieg die Zahl der Behandlungstage, welche die CKUS zu bezahlen hatte, stark an. So wurden 1921 rund 8500 Sanatoriumstage der Mitglieder verzeichnet, ein Jahr später gar 12 500. «Diese grosse Zahl rechtfertigt gewiss die Verwirklichung eines schon langen ersehnten Projekts, nämlich die Errichtung eines eigenen Lungensanatoriums», kommentierte Zentralpräsident Josef Bruggmann diesen Umstand. Und er machte Nägel mit Köpfen: Bereits am 1. Juni 1923 wurde in Davos das angemietete Sanatorium Albula mit dreissig Plätzen eröffnet. Verwaltet wurde es durch die Schwesterngemeinschaft Heilig Kreuz in Cham. Bloss wenige Monate später konnte die CKUS das Haus von der Bündner Kantonalbank kaufen – ein finanzieller Kraftakt für die noch kleine Versicherung.

Jährlich 8000 Todesopfer

Die ansteckende Tuberkulose – früher auch «Schwindsucht» genannt – war über Jahrzehnte hinweg nicht nur in der Schweiz eine regelrechte Volksseuche, die zahlreiche Todesopfer forderte. Um 1890 starben in der Schweiz auf 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner deren dreissig an Tuberkulose. Bis 1920 sank diese Rate auf zwanzig, was jährlich 8000 Todesopfern entsprach. Der Erreger wurde 1882 durch den deutschen Mediziner und Mikrobiologen Robert Koch entdeckt. Symptome der Tuberkulose sind anhaltender Husten, manchmal blutiger Schleimauswurf, Fieber, Schmerzen beim Atmen und Müdigkeit. Nebst der Lunge können weitere Organe befallen werden, etwa die Knochen.

Es ging Schlag auf Schlag

Von Beginn weg war das «Albula» voll belegt. 1925 wurde deshalb eine Dépendance angemietet, sodass fortan 74 Plätze zur Verfügung standen. Bloss zwei Jahre später konnte die CKUS das Sanatorium Beau-Site mit 86 Betten mieten (und später kaufen). Hier wurden die beiden bisherigen Standorte zusammengelegt und das «Beau-Site» wurde in «Albula» umgetauft. Das bisherige «Albula» wurde zum Kindersanatorium. Im Jahresbericht von 1928 hielt der Zentralpräsident fest: «Mit der Schaffung dieser beiden Sanatorien dürften wir am Abschluss der Wohlfahrtseinrichtungen stehen.» Allerdings sollte er nicht Recht behalten. Denn mit den Sanatorien Miremont für Erwachsene und Les Buis für Kinder wurden 1943 in Leysin zwei weitere Kurhäuser für CKUS-Versicherte aus der Romandie eröffnet. Sämtliche CKUS-Sanatorien wurden über viele Jahre hinweg laufend erneuert und an die jeweils veränderten Bedürfnisse angepasst. Tausende von Frauen, Männern und Kindern durften – oder mussten – fortan die gesunde Bergluft geniessen und auf Heilung hoffen.

Luft raus und Rippen weg

Mit dem Beginn der CKUS-Sanatorien kamen auch laufend neue Behandlungsmethoden ins Spiel. Sie muten mitunter abenteuerlich an und brachten – aus heutiger Sicht – wenig. Dies gilt vor allem für den damals häufig vorkommenden Pneumothorax, eine krankhafte Luftansammlung im Brustfellraum. Bei diesem wurde der betroffene Lungenflügel künstlich zum Kollabieren gebracht (oft tat man es gar mit beiden). Das sollte die Lungenheilung unterstützen. Der Nutzen jedoch war gering. Häufig kam es gar zu Verwachsungen, die dann mit einem elektrischen Brenner durchtrennt wurden. Deshalb wurde die Methode ab Mitte der Fünfzigerjahre kaum mehr angewendet. Gleiches gilt für die Thorakoplastik. Bei diesem operativen Eingriff wurden Rippen oder Rippenteile einer Seite des Brustkorbs entfernt.

Alkohol und unzüchtige Schriften

Die wochen- oder gar monatelangen Liegekuren und die damit einhergehende Langeweile waren für die meisten Insassen neue Erfahrungen. Und für nicht wenige war es zu viel des Guten. Nicht immer ging es in den Sanatorien denn auch so still und anständig zu und her, wie es die Hausordnung verlangte. Das zeigen alte Protokolle. So fand 1932 gar eine kleine «Pfingstrevolte» statt. Auslöser war der Umstand, dass der diensthabende Arzt aufgrund von «verschiedenen Verfehlungen» kurzerhand den freien Ausgang am Pfingstnachmittag strich. Sehr zum Leidwesen der Insassen, die aufbegehrten und ihren Unmut nach aussen kolportierten, was innerhalb und ausserhalb der CKUS für einigen Wirbel sorgte. Mit welchen Verfehlungen man es zu tun hatte, legte die damalige Schwester Oberin, Theresia Moser, dem Zentralausschuss dar: «Bei drei unserer Patienten haben wir unzüchtige Bilder und Schriften festgestellt, was wir nun einmal gar nicht dulden.» Einer aus diesem Gremium habe gar innerhalb der Klinik unsittliche Karten kolportiert. Doch damit nicht genug. Auch Lug und Trug seien an der Tagesordnung, wusste die Schwester Oberin zu berichten. Sie erwähnt in diesem Kontext Personen, die für den Kirchenbesuch oder das örtliche Sängerfest Ausgang erhielten. Stattdessen vergnügten sie sich auf der Schatzalp, wo sie offenbar ordentlich dem Alkohol huldigten und «angeduselt» heimkehrten. Ein Problem, das auch Jahrzehnte später noch zu Diskussionen Anlass gab, wie ein Protokollauszug aus dem Jahr 1968 zeigt: «Bezüglich Alkoholkonsum und Disziplin tun wir zwar unser Bestes. Aber ein Sanatorium ist nun halt mal keine Besserungsanstalt.»

Tuberkulosekranke Kinder mussten in den CKUS-Sa­na­to­rien tage­lange Lie­ge­ku­ren er­dul­den.

Lange Blütezeit, kurze Endphase

Gelegentlicher Probleme zum Trotz: Die CKUS-Sanatorien durften sich einer langen Blütezeit erfreuen. Und dank des 1929 verabschiedeten eidgenössischen Tuberkulosegesetzes1 floss einiges an Bundesgeld in die Anstalten. Praktisch über Jahrzehnte hinweg waren die Häuser stets voll belegt. In den Fünfzigerjahren kamen jedoch erste Antibiotikabehandlungen auf. Zudem wurden ab 1953 auf breiter Ebene Tuberkulose-Schutzimpfungen durchgeführt. In der Folge ging die Tuberkulosehäufigkeit und vor allem -sterblichkeit erheblich zurück. 1970 wurden gerade noch knapp 1700 Neuerkrankungen gezählt. Zum Vergleich: 1920 wurde die Zahl der Tuberkulosekranken auf rund 80 000 geschätzt – bei einer knapp halb so grossen Bevölkerungszahl wie im Jahr 1970. Zwar versuchten die Chefärzte der CKUS-Kliniken noch lange, die Luftkuren als das einzig Wahre zu statuieren, und schossen scharf gegen den Einsatz von Antibiotika. Jedoch vergeblich: Als der Bundesrat angesichts der sich radikal verändernden Rahmenbedingungen seine Subventionen an die Tuberkulosekliniken 1976 einstellte, ging es Schlag auf Schlag. Bereits 1978 schloss das Kinder-«Albula», ein Jahr später das Erwachsenen-«Albula» – «die schönste Perle unserer Fürsorgeeinrichtungen», wie es in einem alten Geschäftsbericht genannt wurde. Auch die Häuser in Leysin mussten ihre Pforten schliessen. Wer sich noch heute ein Bild machen möchte, wie prächtig sich die CKUS-Häuser präsentierten, kann das in Davos tun. Die frühere Höhenklinik wurde 2002 vollständig renoviert und bietet heute 235 Gästen Platz: als Davoser Jugendherberge «Youth Palace». Wahrlich eine Perle.

1 Aufgrund der grassierenden Tuberkulose sah sich der Bund gezwungen, 1929 ein Tuberkulosegesetz zu erlassen. Es regelte unter anderem die Massnahmen, die zur Eindämmung der Tuberkulose zu treffen waren, sowie die Abgeltungen an die Tuberkulosekliniken.