Aus tausend Stücken eine Einheit gebildet

Wie formt man aus tausend Sektionen ein schlagkräftiges Versicherungsunternehmen? Eine komplexe Frage, die ein subtiles Vorgehen erforderte.

Mit einer Million Versicherter war die CSS – damals noch CKUS – in den 1980er-Jahren zwar die zweitgrösste Schweizer Krankenversicherung, aber sie war zerstückelt in über tausend Sektionen in der ganzen Schweiz. Die Struktur war also im weitesten Sinne immer noch dieselbe wie nach der grossen Zentralisierung der Verwaltung im Jahr 1912. Gleiches galt für die Buchführung. Zahlreiche Sektionen führten die Kassenbücher noch bis über das Jahr 1990 hinaus von Hand nach – in einer Zeit, da für viele Unternehmen längst das Computerzeitalter begonnen hatte. «Das zentrale Problem aber war die Teilselbständigkeit der tausend Sektionen», erinnert sich Josef «Seppi» Barmettler. Er war eine der treibenden Kräfte hinter der grossen Strukturreform, die 1989 ihren Anfang nahm.

Kleine «Fürstentümer»

Die besagte Teilselbständigkeit bestand unter anderem darin, dass jede Sektion über ein eigenes Vermögen verfügte. Heute von Gesetzes wegen nicht mehr erlaubte Kulanzleistungen gehörten zur Tagesordnung, wobei das jede Sektion wieder anders handhabte. «Zudem gab es innerhalb der Sektionen einige ‹Fürstentümer›, die sich von der Zentralverwaltung kaum etwas vorschreiben liessen. Ein weiteres Problem war der Umstand, dass aufgrund des demokratischen Aufbaus der CKUS immer mehr Sektionsverwalter und -kassiere in wichtige Führungspositionen aufstiegen, konkret in den dreissig Personen umfassenden Zentralvorstand und den Zentralausschuss, der aus sieben Personen bestand. Sie wurden so zu ihrem eigenen Chef», so Seppi Barmettler. Aus heu­tiger Compliance-Sicht ein haarsträubender Umstand.

Josef Barmettler war einer der Ideengeber für die Reform der CSS.

Vollends aus der Zeit gefallen

Mit einem damals revolutionär anmutenden EDV-System hatte die CKUS 1988 zwar – nach einem überaus holprigen Start – den Weg in die Informatikzukunft bereits unter die Füsse genommen. Die Struktur des Unternehmens jedoch schien vollends aus der Zeit gefallen – ein Problem, das die CKUS mit anderen grossen Krankenversicherern der Schweiz teilte. «Hätten wir mit dem schwerfälligen Unternehmenskonstrukt weitergemacht – ich bin überzeugt, unsere Überlebensfähigkeit wäre auf dem Spiel gestanden», bringt es Seppi Barmettler auf den Punkt. Das hatte auch der im September 1988 an der schweizerischen Delegiertenversammlung in Davos neu gewählte Zentralpräsident Denis Simon-Vermot erkannt. Deshalb berief er 1989 den Zentralausschuss zu einer Klausur ein. Das Motto lautete «CSS 2000: Strukturentwicklung». Statt sich auf eine teure Consulting-Firma zu verlassen, wie man es heute machen würde, setzte Direktor Ferdinand Steiner auf ein pragmatisches Vorgehen. Er regte Seppi Barmettler und Georg Portmann an, am Institut für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschafts-Management (VMI) der Uni Fribourg Lehrgänge zu besuchen. Georg Portmann war persönlicher Mitarbeiter von Steiner und gerade mal 25 Jahre alt, aber ein Macher und offen für Innovationen.

Das erworbene Wissen schuf letztlich die Ba­sis für die Reorganisation der zweitgrössten Schweizer Krankenversicherung. Fortan bildeten Barmettler und Portmann, der spätere CEO der CSS, ein dynamisches Tandem, das dem Projekt «CSS 2000» professionelle und richtungsweisende Impulse verlieh. 

Legendärer «CSS-Rapport»

Wie überzeugt man Mitarbeitende, Funktionäre und Ehrenamtliche von einem radikalen Unternehmensumbau? «CSS-Rapport» hiess das Zauberwort – in Anlehnung an General Guisan, der 1940 seine Offiziere auf dem Rütli zum Rapport einberief. Am 5. Oktober 1993 strömten 1700 Personen in die Luzerner Allmend-Halle. Hier wurden die Anwesenden umfassend über den Umbau und die damit einhergehende Professiona­lisierung informiert. Die Ausführungen wurden – zumindest von der CSS-Basis – mit grossem Optimismus aufgenommen und der Weg in die Zukunft war geebnet.

Skeptische Romands

Noch aber war das Projekt keineswegs unter Dach und Fach. Gut, aber ungern, erinnert sich Seppi Barmettler an die skeptischen Stimmen aus der Romandie und dem Tessin. «Die dortigen Verantwortlichen wollten nichts wissen von zentralen Entscheidungsstrukturen.» Sie befürchteten nicht nur einen Machtverlust, «sie hatten auch Angst vor einem kulturellen Schock und wehrten sich dagegen, von der Deutschschweiz dominiert zu werden». Doch das Duo Barmettler/Portmann – unterstützt von weiteren kompetenten Fachleuten – war clever genug, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Mit Unterstützung der obersten Stellen sorgten die beiden hinter den Kulissen für subtile Personalrochaden in den Entscheidungsgremien. Zudem stimmten sie 1993 das «Fussvolk» mit einem perfekt inszenierten Anlass auf der Luzerner Allmend – dem «CSS-Rapport» – auf die Zukunft ein. Mit Erfolg. Seppi Barmettlers Fazit: «Zwar gab es noch immer einige Regionalfürsten, die um ihr Reich bangten, doch sie standen auf verlorenem Posten.» Am 8. Oktober 1994 fand in Luzern letztmals eine Delegiertenversammlung statt. Die 289 Stimmberechtigten nahmen von der Totalrevision der Statuten Kenntnis und stellten sich so hinter die neue Organisationsstruktur per 1. Januar 1995. Die tausend Sektionen gehörten fortan der Vergangenheit an, ebenso der Zentralausschuss und der Zentralvorstand. An ihre Stelle traten regionale Unternehmenseinheiten (Haupt- und Regionalagenturen) und der heute noch bestehende CSS Verein mit Verwaltungsrat und der vierzig Personen umfassenden Delegiertenversammlung (damals noch Mitgliederrat genannt).