Fast hätt’s ein Kalb gegeben
Spannende Einblicke in ein Unternehmen, das 2024 seinen 125. Geburtstag feiert. Das erlaubt ein Gespräch mit drei Generationen, die bei der CSS gearbeitet haben.
Drei Generationen vereint: Die beiden CSS-Mitarbeiterinnen Gabriela Udovicic und Doris Winistörfer sowie ihre Eltern Walter und Maria Winistörfer (v.l.n.r.) vor deren ehemaligem Wohnhaus, wo früher die Kassenstelle der Ortssektion Matzendorf war.
Walter und Maria Winistörfer, Sie führten jahrzehntelang die Kasse der Matzendorfer Ortssektion der CSS. Wie lief das früher?
Walter Winistörfer: Ich war 1961 23 Jahre alt, als die Kassierin der Ortssektion starb. Mein Vater, der Sektionspräsident war, hatte die Idee, dass ich diese Aufgabe übernehmen könnte. So wurde ich Kassier und war jahrelang Einzelkämpfer, bis ich meine Frau Maria geheiratet habe.
Maria Winistörfer: Das war 1970. Ich hatte nach der Heirat die Möglichkeit, am CSS-Hauptsitz in Luzern – damals sprach man noch von Zentralverwaltung oder Zentrale – Kurse zu besuchen. Fortan hatten wir das Kassier-Amt in Personalunion. Walter führte das Kassenbuch, da er besser rechnen konnte. Ich besorgte den Rest und hatte vor allem mit den Versicherten Kontakt. Auf diese Art konnte ich die Leute im Dorf kennenlernen.
Walter W.: Es war ein Nebenjob, den wir erledigten, wenn wir gerade Zeit hatten. Und so konnte es auch sein, dass die Versicherten auch an einem Abend oder am Wochenende vor der Türe standen, um ihre Prämien in bar bei uns einzuzahlen. Das wurde dann von Hand im persönlichen Versichertenbüchlein vermerkt, das alle Versicherten besassen. War jemand knapp bei Kasse, galt das Vertrauensprinzip, denn irgendwann kam das Geld immer. Wenn nicht, suchte ich die säumigen Zahler auf, um sie zu ermahnen. Ich mag mich erinnern, als ich einmal bei einem Bauern anklopfen musste, der die Prämien für seine zwölfköpfige Familie nicht bezahlt hatte. «Ich schicke dir dann ein Kalb runter, um die Schulden zu begleichen», rief er halb im Scherz aus dem Stall, wo die ganze Familie hinter dem Vieh hervorlugte. Zum Glück kam aber kein Kalb, sondern Bargeld.
Hatten Sie einen Tresor?
Walter W.: Einzig eine abschliessbare Metallkassette. Einmal pro Woche überwiesen wir das Geld nach Luzern. Erst in den Siebzigerjahren kamen Einzahlungsscheine auf, mit denen die Versicherten die Prämien an die Zentralverwaltung überweisen konnten.
Wie kamen die Versicherten im Krankheitsfall zu ihrem Geld?
Maria W.: Wer krank war, brauchte einen Krankenschein, den wir ausstellten. Mit dem Schein konnten die Versicherten zum Dorfarzt gehen und die CSS übernahm die Rechnung. Das Geld wurde vom Hauptsitz ausbezahlt. Sonst aber hatten wir kaum Kontakt zur Zentrale. Einzig mit dem Revisor, der regelmässig unsere Kassenbücher kontrollierte. Nur wenn «Luzern» nicht zahlen wollte, nahm ich telefonischen Kontakt auf, um der Zentrale die Situation der versicherten Person zu schildern.
Walter W.: Praktisch nie wurde danach eine Leistung verweigert. Deshalb hatte die CSS auch einen guten Ruf.
Maria W.: Hatten die Leute Fragen oder Probleme mit einer Rechnung, ging ich auch schon mal bei ihnen zu Hause auf einen Kaffee vorbei. Ebenso wenn ein Kind auf die Welt kam – denn wir wollten ja, dass dieses bei der CSS versichert wird.
Wie tönt das für die jüngeren Generationen?
Gabriela Udovicic: Für mich als Mitarbeiterin in einer CSS-Agentur tönt das wie aus einer anderen Welt. Nur schon, dass man praktisch jeden Kunden und jede Kundin persönlich kannte und vermutlich per du war, ist für mich unvorstellbar. Zwar haben wir auf unserer Agentur ab und zu Kontakt mit einigen Versicherten, die wir auch persönlich kennen, da sie doch öfters vorbeikommen. Allerdings sind das Ausnahmefälle. Es ist auf jeden Fall sehr eindrücklich, wie das früher mit einem von Hand geführten Kassenbuch funktioniert hat. Im Grunde genommen ist es jedoch überaus sympathisch, wie man den Job damals erledigt hat. Wir arbeiten heute in der Regel von 8 bis 17 Uhr, und die Winistörfers waren praktisch immer für ihre Versicherten da. Heute findet ja fast alles digital statt. Und dass ein Berater zu den Leuten nach Hause geht, passiert praktisch gar nie mehr.
Doris Winistörfer: Für mich ist es natürlich ein Déjà-vu. Als Kind war die CSS allgegenwärtig. Mein Zimmer war bloss mit einem Vorhang vom «Büro» der Eltern abgetrennt. Dieses bestand einzig aus einem riesigen Pult und Schubladen mit CSS-Akten. Am Pult fanden an den Abenden oft Beratungsgespräche statt. War es Zeit zum Schlafen, liess ich mich durch die Gespräche einlullen und schlief friedlich ein. In guter Erinnerung sind mir auch die Hausbesuche meiner Eltern geblieben. Oftmals durfte ich sie begleiten, wenn sie Eltern mit einem Neugeborenen oder Bauernfamilien aufsuchten. Dann gab’s meist was zu trinken. Und auch der Blick in den Stall gehörte dazu, wo die Bauernleute mit Stolz ihr Vieh präsentierten. Besondere Freude hatten mein Bruder und ich, wenn wir die Telefonate von Versicherten entgegennehmen durften. Später stellte ich dann als Jugendliche sogar selber Krankenscheine aus. Am Mittagstisch aber war die Versicherung kein Thema.
Frau Udovicic, früher war alles sehr einfach strukturiert. Fühlen Sie sich im Vergleich als Mehrkämpferin?
Gabriela U.: Meine Ausbildung hat in der Tat sehr viele Facetten. Ich absolviere eine KV-Lehre, aber ich lernte fast alle Aspekte rund um das Thema Krankenversicherung kennen. Ich arbeite seit einigen Monaten auf der Agentur, vorher war ich eineinhalb Jahre am Hauptsitz. Dort wurde ich geschult zu den Themen Versicherungsprodukte, Leistungen, Zahlungsverkehr oder auch gesetzliche Vorgaben im Bereich der Krankenversicherung. Heute bin ich zudem oft am Schalter tätig, wo sich Versicherte mit Fragen persönlich melden. Man kann den Begriff «Mehrkampf» durchaus verwenden.
Und Sie, Doris Winistörfer, sind sicher wegen Ihrer Eltern bei der CSS gelandet.
Doris W.: Keineswegs. Die CSS war für mich kein Thema. Ich lernte Kinderkrankenschwester und war später in der Telemedizin tätig bei einem Telemedizin-Anbieter in Basel. Dort kam ich wieder in Kontakt mit der CSS, hatte oft CSS-Versicherte am Draht. Ebenso im Rahmen der Ausland-Notrufzentrale. Dann aber folgte ein Perspektivenwechsel – weg von der Telemedizin und hin zur Versicherungsmedizin beim Vertrauensärztlichen Dienst der CSS. So hat sich sozusagen der innerfamiliäre CSS-Kreis geschlossen.
War die CSS früher sehr hierarchisch strukturiert?
Walter W.: Mit dem Hauptsitz hatten wir ja praktisch keine Kontakte. Aber meines Wissens war das Unternehmen doch sehr hierarchisch unterwegs. Halt der damaligen Zeit entsprechend.
Gabriela U.: Das pure Gegenteil zu heute. Wir arbeiten auf unserer Agentur sehr eng zusammen. Das ist fast wie eine Familie. Das finde ich schon toll. Und auch am Hauptsitz erlebe ich einen sehr offenen und angenehmen Umgang miteinander – bis hin zur CEO.
Doris W.: Das kann ich bestätigen. Ich bin zwar erst seit zehn Jahren im Unternehmen tätig. Aber nur schon in dieser Zeit habe ich einen deutlichen Wandel erlebt. Vor einigen Jahren hat die CSS ja die Du-Kultur eingeführt. Das hat die Zusammenarbeit spürbar erleichtert und brachte neuen Wind in die CSS, der durchaus positiv ist.
Zu den Personen
Walter Winistörfer (Jahrgang 1938) ist gelernter Maschinenzeichner, Ing. HTL. 1961 wurde er – neben seiner Arbeit bei der Firma von Roll in Balsthal – Kassier bei der CSS-Ortssektion Matzendorf (SO), damals noch CKUS: Christlichsoziale Kranken- und Unfallkasse. Seine Frau Maria Winistörfer (1938), Hausfrau, teilte sich nach ihrer Heirat im Jahr 1970 gemeinsam mit Walter die Kassierstelle. Mit der Strukturreform der CSS 1987 gaben sie ihre Arbeit bei der CSS ab.
Doris Winistörfer (1973). Die gelernte Kinderkrankenschwester kam 2014 zur CSS Versicherung. Sie ist heute Gruppenleiterin im Vertrauensärztlichen Dienst.
Gabriela Udovicic (Jahrgang 2005) begann 2021 ihre KV-Lehre bei der CSS. Sie arbeitet in der CSS-Agentur Emmen-Rothenburg (LU).
Wir sind hier drei Generationen vereint – könnten Sie sich vorstellen, mit den andern zu tauschen?
Walter W. (lacht): Es wäre spannend, mal mit der jungen Generation zu tauschen. Das wäre sicher machbar – wenn auch nach einer gewissen Anlaufzeit.
Gabriela U.: Einmal ein handschriftliches Kassenbuch führen – wieso nicht? Aber ehrlich gesagt, bin ich froh, läuft das heute anders. Jeden Tag persönlichen Kundenkontakt zu haben, wäre auch gewöhnungsbedürftig. Das Berufliche vom Privaten zu trennen, wäre wohl kaum mehr möglich.
Maria W.: Ui, was ich da gehört habe, tönt anspruchsvoll. Das ist sicher interessant, aber ich bin froh, dass ich das nicht mehr machen muss.
Doris W.: Es ist heute schlicht eine andere Welt. Ich habe vom Kindesalter an den Wandel von der alten CSS zum modernen Unternehmen erlebt. Deshalb möchte ich nicht mehr tauschen. Ich bin zufrieden, wie es heutzutage läuft.