«Wir müssen uns darauf zurückbesinnen, was eine Versicherung ist»
Grosse Probleme benötigen mutige Ansätze: Gesundheitspolitiker Andri Silberschmidt spricht über seine Gedanken, wie unser Gesundheitswesen in finanzieller Hinsicht saniert werden könnte.
Sie skizzieren für Tamedia regelmässig realistische Utopien über die Zukunft. Wie sieht Ihre Idee eines funktionierenden Gesundheitssystems aus?
Grundsätzlich ist unsere medizinische Versorgung Weltspitze. Anders sieht es mit der Finanzierung aus: Da unsere Bevölkerung immer älter wird, erwarten uns in Zukunft viel höhere Kosten. Es ist ja nicht so, dass wir in ein Pflegekonto einzahlen und dieses dann im Alter anzapfen – vielmehr nutzen wir die aktuellen Prämien für die aktuellen Ausgaben.
Welchen Lösungsvorschlag sehen Sie demzufolge?
Das hohe Alter kostet nicht nur die öffentliche Hand viel, sondern wird auch für die Einzelnen sehr teuer. Ich würde es begrüssen, wenn man mit einem Pflegekonto im Sinne einer vierten Säule für diesen Fall vorsorgen könnte. Dies wäre eine steuerlich attraktive Form, für künftige Pflegekosten etwas auf die Seite zu legen.
Das stellt das Grundprinzip der Versicherung, dass alle solidarisch für jede und jeden Einzelnen aufkommen, nicht infrage.
Ich glaube, der Solidargedanke ist nach wie vor wichtig. Wir müssen uns dabei aber darauf zurückbesinnen, was eine Versicherung ist: Sie kommt für Schäden auf, die unvorhergesehen eintreten. Problematisch wird es für mich, wenn die Versicherungen unseren Konsum mitfinanzieren und zur Selbstoptimierung missbraucht werden können. Also: Nehmen wir an, ich möchte mich nächstes Jahr durchchecken lassen, mal eine Psychotherapie machen oder in die Physio. Dann setze ich die Franchise aufs Minimum – im darauffolgenden Jahr erhöhe ich sie wieder auf 2500 Franken. So kann mit Fehlanreizen im System zu Lasten der Allgemeinheit gespielt werden.
«Ich glaube, der Solidargedanke ist nach wie vor wichtig. Wir müssen uns dabei aber darauf zurückbesinnen, was eine Versicherung ist: Sie kommt für Schäden auf, die unvorhergesehen eintreten.»
Wie würden Sie diese Fehlanreize aushebeln?
Ein Punkt wären Mehrjahresverträge, sodass ich mich beispielsweise für fünf Jahre festlegen könnte. Dann könnten wir Alternativmodelle noch viel stärker nutzen: Ich denke da an eine Generikapflicht, eine Kommunikation ausschliesslich über digitale Kanäle oder Einschränkungen bei der Arztwahl. Wer solche Modelle wählt, soll deutlich tiefere Prämien zahlen müssen. Ein grosser Wurf wäre auch, wenn die Versicherungen mehr mit den Leistungserbringern zusammenarbeiten würden. Dazu gibt es aktuell ein Pilotprojekt im Berner Jura. Und wenn wir ganz weit denken wollen, können wir auch über ein Gesundheitsbudget pro Person diskutieren. Hier geht’s jetzt nicht um die Krebsbehandlung, sondern vielmehr um den Betrag, den die Krankenkassen jährlich zur Verfügung haben, um die Bevölkerung möglichst gesund zu halten.
Zur Person
Der FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (29) verfügt über einen Masterabschluss in Global Finance und ist derzeit als Sekretär des Verwaltungsrates der Planzer Transport AG tätig. Weiter ist der Zürcher Mitbegründer und Verwaltungsratspräsident von «kaisin.», einem Gastrounternehmen mit Filialen in den Städten Zürich, Basel und Zug, Verwaltungsrat der Jucker Farm AG sowie Präsident von FH SCHWEIZ, dem Dachverband der Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen.
Die öffentliche Hand hat zwei Hüte auf. Sie finanziert einerseits Prämienverbilligungen und einen Teil der Gesundheitskosten. Andererseits gehören ihr Spitäler, Alters- und Pflegeheime, die Gewinne abwerfen sollen. Wie kann dieser Konflikt gelöst werden?
Wir fordern vom Bundesrat schon lange, dass diese Mehrfachrolle untersucht wird – leider ist das noch nicht passiert. Seit zwölf Jahren versuchen wir zudem zu erreichen, dass der Kanton bei stationären wie auch ambulanten Behandlungen je etwas mehr als einen Viertel bezahlt. Heute kosten ihn stationäre Aufenthalte mindestens 55 Prozent, ambulante nichts. Glücklicherweise wurde diese Reform im Dezember 2023 vom Parlament verabschiedet. Noch so eine ewige Diskussion ist die Frage einer staatlichen Einheitskasse. Die Verwaltungskosten der Krankenkassen sind aber dennoch stabil und gehören nicht zu den grossen Kostentreibern.
Man hat ausserdem den Eindruck, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen schlecht vorankommt. Woran liegt das?
Ich musste kürzlich wegen einer Lungenentzündung ins Spital und fand den Informationsaustausch wirklich unterirdisch. Wenn ich von drei Leuten gefragt werde, wie schwer ich bin, fehlt es für mich einfach auch an betriebswirtschaftlichem Denken. Aber ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass die Digitalisierung in anderen Bereichen weiter ist als im Gesundheitssektor. Er gehört zu den am stärksten regulierten Märkten, was die Sache enorm komplex macht. Man sollte in Zukunft viel mehr über Prozesse und Automatisierung nachdenken. Die Digitalisierung bringt per se nicht immer gleich einen Mehrwert.