Der Tod kam von «Kilometer null»

Der Grenzstein 111 bei Bonfol JU markierte im Ersten Weltkrieg den «Kilometer null» der 750 Kilometer langen Westfront. Und er war indirekt Ausgangspunkt für ein CKUS-Trauma: die Spanische Grippe.

«Kilometer null»: Hier, im Dreiländereck zwischen der Schweiz, Frankreich und Deutschland, begann 1914 die Kriegsfront, die bis zum Ärmelkanal hinaufreichte. Für die Schweiz war dieser Punkt im jurassischen Dorf Bonfol beim Grenzstein Nummer 111 aber auch Ausgangspunkt für eine der schlimmsten Pandemien, die das Land je heimgesucht haben: die Spanische Grippe. In Bonfol schützten Schweizer Soldaten die Landesgrenze. Nur einen Steinwurf davon entfernt sassen französische und deutsche Truppen in ihren Schützengräben. Von dort erreichte ein bisher unbekanntes Grippevirus die Schweiz. Schon bald war es weltweit bekannt als Spanische Grippe. Die Krankheit breitete sich unter den Schweizer Soldaten aufgrund der katastrophalen Unterkunfts- und Verpflegungsverhältnisse rasch aus. Und da kranke Wehrmänner nicht für den täglichen Drill und schon gar nicht als taugliche Grenzwächter geeignet sind, wurden sie kurzerhand nach Hause geschickt, wo sie die Grippeviren weiterverbreiteten. Es war ein fataler Entscheid der Armee­oberen und der Beginn einer Pandemie, wie sie die Schweiz noch nie gesehen hatte.

Kantone und Bund sprangen ein

Rund drei Milliarden Franken: So hoch war der Fehlbetrag, den die CKUS – auf heutige Verhältnisse umgerechnet – im verheerenden Grippejahr 1918 in der Erwachsenenversicherung verzeichnen musste. Zwar forderte insbesondere die Ärzteschaft, die Prämien einfach in einem Umfang zu erhöhen, bis die Kosten gedeckt seien. Um jedoch die oft bereits verarmten Versicherten nicht vollends in den Ruin zu treiben, verzichtete die CKUS – ganz im Sinne ihres christlichsozialen Denkens – auf krasse Prämienerhöhungen. Vielmehr behalf man sich jeweils mit einmaligen Pro-Kopf-Beiträgen. Letztlich konnte sich aber die CKUS nur dank ausserordentlicher Bundesbeiträge, Zuschüssen von einzelnen Kantonen sowie Bankbezügen – also Reserven – halbwegs über Wasser halten.

Kosten schossen durch die Decke

Im Krieg schossen die Kosten für Medikamente und Krankenpflege in ungeahnte Höhen und stellten für die CKUS eine immense finanzielle Belastung dar. Bereits vor der Grippe, in den Kriegsjahren 1914 bis 1917, stiegen die Ausgaben für die Krankenpflege pro Mitglied von 6.10 auf 13.35 Franken – eine Zunahme von knapp 120 Prozent. Aufgrund solcher Zahlen blieb dem damaligen Präsidenten Josef Bruggmann fast nur noch das Prinzip Hoffnung. Im Jahresbericht 1917 hielt er fest: «Ich verleihe dem Wunsche Ausdruck, dass unsere so segensreich wirkende Institution die gegenwärtigen Kriegsstürme noch gut überdauern möge.»

Im Spital Olten ku­rieren Schwei­zer Wehr­männer die Folgen der Spa­nischen Grippe aus.

Und es kam noch schlimmer

Hätte er gewusst, dass es noch schlimmer kommen sollte, wäre die leise Hoffnung wohl purer Verzweiflung gewichen. Denn die Grippepandemie liess die Ausgaben pro Kopf innert zwölf Monaten gleich nochmals um 33 Prozent nach oben schnellen. In der Rechnung 1918 der Erwachsenenversicherung klaffte letztlich – bei Prämieneinnahmen von 393 000 Franken – ein Loch von mehr als 260 000 Franken. Dies kommentierte Zentralpräsident Josef Bruggmann mit den knappen Worten: «Wir waren völlig ausgepowert.» Angesichts solch verheerender Rechnungszahlen sah sich Bruggmann in seinen Berichten dann und wann bemüssigt, den Verantwortlichen der einzelnen Sektionen ordentlich auf die Finger zu klopfen und von ihnen «mehr Rückgrat» zu fordern. Er rief sie auf, durch persönliche Hausbesuche1 konsequenter zu prüfen, ob jemand auch tatsächlich krank sei oder nicht vielmehr der Beitrag der Krankenkasse «als willkommener Nebenverdienst angesehen wird». Doch damit nicht genug. Er rief auch dazu auf, bei der Aufnahme neuer Versicherter viel restriktiver zu sein – selbst bei Vorliegen eines positiven Arztzeugnisses. Und das tönte dann jeweils so: «Wenn man weiss, dass eine Person nicht ganz 18karätig ist, soll man sich auch nicht durch ein ärztliches Zeugnis blenden lassen, sondern im Hinblick auf die Statuten dieselbe abweisen. Wir haben noch genug an denjenigen, die nach der Aufnahme krank werden.»2 Inwiefern solche Aufrufe jeweils fruchteten, ist aus heutiger Sicht kaum mehr festzustellen. Immerhin durfte sich der Zentralpräsident damit trösten, dass die Christlichsoziale Krankenversicherung zwar weitere schwierige Perioden, aber nie mehr ein dermassen schlimmes Jahr erleben musste wie 1918. Bereits im Nachkriegsjahr 1919 kam die CKUS dank eines Rechnungsüberschusses wieder ansatzweise auf die Beine, was Josef Bruggmann mit den Worten quittierte: «Auf Regen folgt Sonnenschein!»

1 Hausbesuche durch die Versicherung fanden im Sinne einer Kontrolle statt. Denn nur wer wirklich krank war, sollte auch von Versicherungsleistungen profitieren.

2 Wer in die Versicherung aufgenommen werden wollte, musste in der Regel via Arztzeugnis bestätigen, dass er oder sie gesund sei. So wollte man verhindern, dass Kranke auf­genommen wurden, die von Beginn weg Kosten verursachten.